Das Empfinden der Langeweile während der Mediation - Zen Betrachtung ~ Kongseb


Teisho Langeweile

Die meisten Menschen, die meditieren, machen Erfahrung mit der Zeit.

Und dabei gibt es oft ein sehr entgegengesetztes Erleben: Zum einen, dass die Zeit nahezu aufgehoben ist, es keine Zeit gibt. Und zum anderen, dass Zeit sich unendlich dehnt und wir sitzen und warten und warten auf das Signal, dass endlich die Zeit um ist.

Manchmal, beim Warten auf das erlösende Signal, das die Meditationseinheit beendet, sind es die Schmerzen, die den Wunsch nach dem Ende der Sitzeinheit hervor rufen, aber wenn wir dann etwas geübter sind, ist es die Langeweile, die uns überfällt und wir warten, hoffen, dass nun endlich die Zeit rum ist und wir die Meditation beenden können.
 
Geht es am Anfang ganz gut, so geschieht es, dass nach längerem Sitzen uns manchmal die Langeweile einfach überfällt und wir sitzen nur noch da und versuchen irgendwie die Zeit rumzukriegen, auszuhalten, warten sehnsüchtig auf das Ende - und die Zeit dehnt sich mehr und mehr.

Langeweile, das ist das, dass wir nicht im Augenblick mehr sein wollen, können, ja, dass wir es uns wünschen, dass es zu Ende geht, weil das Jetzt nicht mehr erfüllt ist mit Sinn.
 
Es geschieht nichts und wir können nichts mehr machen.
 
Und damit ist deutlich, Langeweile ist bei uns oft mit Sinn- und Ziellosigkeit verbunden.

Wir wollen raus aus dem, was gerade ist, weil wir keinen Gefallen mehr finden an dem, wie es gerade mit uns ist. Es macht uns keinen Spass mehr.
 
Schliesslich meditieren wir ja auch, weil wir uns gut fühlen wollen, weil es uns gut oder zumindest besser gehen soll. Weil wir etwas „davon haben wollen“. Sonst macht ja das Ganze keinen Sinn. Und wenn wir in die Langeweile kommen, merken wir, wie der Sinn unserer Meditation verloren geht und wir letztlich alles infrage stellen.

Wie viele Menschen mag es wohl geben, die hoffnungsvoll mit der Meditation begonnen haben, aber dann nach einiger Zeit an genau dem gescheitert sind, wovon ich eben gesprochen habe: der Langeweile.

Willigis Jäger hat einmal gesagt, dass die Langeweile die Urmutter der kontemplativen Erfahrung ist.
Ein spannender Kontrast zu dem, was ich bisher zur Erfahrung der Langeweile gesagt habe. Darum lasst uns noch etwas daran herumfragen:

langweilig wird es, weil es nichts zu tun gibt. Aber ist das nicht genau die Übung, die wir in der Meditation anstreben, in den offenen, zweckfreien Raum zu kommen? …

langweilig wird es, weil wir kein Ziel mehr haben. Aber das genau ist es doch, was uns die alten Meister immer sagen: „Der Weise hat keine Ziele…“ (Shinjin Mei)

langweilig wird es, weil es mir durch das Sitzen in der Stille nicht wirklich besser geht, jedenfalls nicht so, wie ich es mir erhofft hatte. Mehr und mehr habe ich das Gefühl, dass es vertane Zeit ist, wenn ich einfach nur so dasitze und nichts tue. Wie viele sinnvolle Dinge könnten in dieser halben Stunde erledigt werden?

langweilig ist es vielleicht auch, weil immer wieder die gleichen Gedanken und Phantasien auftauchen, die uns vielleicht mehr und mehr nerven.

Bei all dem Vielen, was da auftaucht, merken wir nicht, dass wir gerade durch und in der Langen-Weile den Raum der Ruhe betreten haben. Da, wo es mal nichts mehr zu tun gibt; nichts mehr zu schaffen ist, keine Leistung zu erbringen ist - und wo auch keine Leistung mehr etwas zählt.

Und vielleicht ist es gerade das, was uns irritiert, wo wir die Orientierung verlieren, weil es nichts wirklich Messbares mehr gibt.

Langeweile, die Urmutter der Kontemplation.

Ja, jetzt wo die Langeweile da ist, öffnet sich mit einem Male ein anderer, neuer Raum, der uns in eine andere, vielleicht neue Lebensqualität einführen will.

Das ist der zweckfreie, offene Raum der Kontemplation, wo es nichts mehr zu erwarten, zu finden, zu suchen, zu erreichen gibt. Wo wir einfach nur dasein dürfen mit dem, was wir gerade mitbringen, was wir gerade sind. Dasein mit diesem einen, einzigen Atemzug, der gerade geschieht. Den bewusst wahrnehmen, annehmen, aufnehmen, spüren wie der Atem kommt und geht, wie er fliesst und mich mit seiner Lebendigkeit durchdringt. Dieses einfach nur mitgehen mit dem, was gerade ist.
 
Das kurzatmige, schnelle, hastige Leben wird einmal unterbrochen und es entsteht ein Raum, wo wir nur noch zweckfrei dasein dürfen. Alle Leistung, alles Schaffen, Machen Müssen hat ein Ende an der Langen-Weile, denn - „gut Ding will Weile haben!“.

Weil wir aber das andere Leben gewohnt sind, weil wir lange Zeit so anderes erlebt haben und die Welt, in die wir eingebunden sind, keine Ruhe, kein Verweilen, keine Lange-Weile mehr kennt, müssen wir in der Tat erst einmal neu lernen, uns in dem offenen Raum des Verweilens auszuhalten. Aber wenn uns das gelingt, so merken wir, wie sich langsam unser Blick auf das Leben, auf die Welt verändert - und nicht nur das, ja unser Leben selbst sich zu wandeln beginnt.

Wir alle können uns vielleicht noch an die Zeit des Wartens aufs Christkind erinnern. Wie schwierig war es, diese sehnsuchtsvollen Stunden vor der Bescherung auszuhalten, zu überbrücken, bis es endlich so weit war. „Mama, was soll ich denn noch machen, wann kommt denn endlich das Christkind, wann ist es denn endlich soweit?“ Und die Zeit dehnte und dehnte sich. „Spiel‘ doch etwas…..denk‘ an was Schönes…“usf. Unterschiedlich waren wohl die Ratschläge, die wir bekommen haben.

Heute wissen wir, dass die Sache mit dem Christkind nicht ganz so war, wie man es uns gesagt hatte. 

Aber wir warten oft genug immer noch aufs Christkind, auf die Bescherung - aus welchen Gründen auch immer - und die Zeit will nicht vergehen, es scheint, als stünde sie still.

Wenn wir es gelernt haben, dass die Zeit, die nicht verplant und mit Zielen und Projekten und sonstigen Inhalten ge- und manchmal auch überfüllt ist, Freiraum für neues Leben bietet, Räume schafft, in denen wir ganz neue Facetten von Lebendigkeit und Kreativität entdecken, dann bekommt die Langeweile mit einem Male eine ganz andere Bedeutung. Dann ist sie kein bedrückender Leerlauf, sondern ein offener Raum, in den hinein sich Leben, mein Leben entfalten und gestalten kann. Dann ist die Langeweile das offene, gepflügte Feld, in das hinein der Samen meines Lebens fallen kann, um zu keimen, zu wachsen und am Ende die Frucht zu bringen.

(Wir sind gerade in der Jahreszeit wo die Natur es uns vormacht und wir die Früchte von einem reichen und erfüllten Jahr ernten können.)

Vielleicht ist an dem bisher Gesagten noch einmal deutlich geworden, dass Langeweile auch ganz viel mit den Vorstellungen und Ideen, die wir in unserem Kopf haben, und unseren Wertungen, die wir immer wieder in die Freiräume von Zeit und Zeitlosigkeit hinein bringen, zu tun hat.

Letztlich sind es unsere Konzepte und Vorstellungen, die uns im Wege stehen, um die freie Zeit, um die Freiräume, die sich immer wieder in unserem Leben ergeben – und die wir manchmal auch bewusst schaffen und gestalten, indem wir uns einen Platz und einen Raum und Zeit zur Meditation schaffen - als Lebensräume erfahren, die wir geniessen, in denen wir verweilen und zu uns kommen können.

Wie viele solcher Freiräume ergeben sich, wenn wir bewusst die Lücken, wo wir warten müssen, einmal ernst nehmen und nicht nur versuchen, uns darüber zu ärgern oder sie hastig mit irgendwelchen Verrichtungen zu füllen, sondern sie als ein Geschenk des Lebens wahr- und ernst nehmen. Da ist der abgesagte Termin, der mir plötzlich Zeit und Raum schafft; da ist das Stehen im Stau, das mich abhält möglichst schnell von A nach B zu kommen und mir Raum und Zeit schafft, mich wahrzunehmen, meinen Körper, meinen Atem, die Welt um mich herum; eine Krankheit, die mich einlädt zum Verweilen, es zu geniessen, kranksein zu dürfen ….

Langeweile wird dann zur großen Möglichkeit, die Intensität des Lebens wieder neu zu erfahren und ihr zu begegnen. Ernst Barlach schreibt dazu: „…. ich weiß, dass ich zu weilen beim Dämmern des Sommerabends, wenn ich allein mit meinen Gedanken in der Veranda hinter unserem Haus sass, … mit überströmendem Herzen in den Himmel sah und nicht wusste, ob mein Herz vor Traurigkeit oder vor Entzücken springen wollte.“ (Ernst Barlach, Prosa aus vier Jahrzehnten, S. 442)

Das Shinjin Mei (Eine Schrift aus dem 6./7. Jh.) drückt es so aus, „unser Weg ist dem Wesen nach weit …. aber wenn wir unser Herz eng machen, sind wir voller Sorgen und Ängste. Wir beginnen uns zu eilen und merken nicht, wie wir dadurch Mass und Zeit verlieren und in die Irre gehen: Lass los, und alles ist natürlich.“ „Lass los, und alles ist natürlich.“ so der Rat der Weisen aus dem 6. Jh., der über die Jahrhunderte hinweg seine Richtigkeit und Gültigkeit auch für unsere Tage erwiesen hat.

Matthias Uhlich 10/20

Kommentare